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Kriegerin

"You are a warrior", sagte vor einiger Zeit jemand zu mir: "Du bist eine Kriegerin." Dieser Satz wurde in den folgenden Wochen und Monaten so etwas wie ein Kristallisations- oder Verknüpfungspunkt für alle möglichen Fragmente, so wie Puzzlestücke, die plötzlich an ihren Platz fallen.

Da ist ein Stab. Ursprünglich, vor Jahren, damals in Pfaffing, war er ein Geschenk, mir in die Hand gedrückt mit den Worten: "Damit kommst du überall hin." Er stand jahrelang an meinem Altar, ohne dass klar wurde, was genau seine Rolle war - bis er in meinen Reisen auftauchte und immer mehr zur Verbindung zu meiner ureigenen Kraft wurde, tief verwurzelt auf beiden Seiten des Zauns und verbunden mit dem Netzwerk des Lebens. Und auch wenn dieser Stab äußerlich wesentlich weniger hermacht als der von Gandalf, muss ich in diesem Zusammenhang oft an die Szene auf der Brücke von Moria denken: "You shall not pass!" Gandalf tut das, was in diesem Moment not-wendig ist - um die Not zu wenden -, das, was richtig ist, und zwar im vollen Bewusstsein, dass er selbst möglicherweise einen Preis dafür zu zahlen hat.

Da sind weitere Szenen aus Büchern oder Filmen, die sich um dasselbe Thema drehen und die ebenso in dieser Zeit auftauchen, "3:10 to Yuma" beispielsweise; in gewisser Weise auch "I Shot the Sheriff", ein Stück, das mir in der Version von Eric Clapton immer schon sehr nahe war.

Da ist "zufällig" in genau diesen Tagen ein Frauenkreis, der sich um den Archteyp der Kriegerin dreht. Wir sollen uns unsere Kriegerin innerlich vorstellen, und wieder fallen mir mein Stab und Gandalf ein. Eine Teilnehmerin erzählt, sie sei eigentlich immer gezwungen gewesen, die Kriegerin zu leben, um überleben zu können; "ich weiß, wie man mit einem Messer umgeht".

Es geht nicht um Gewalt um der Gewalt willen, das mit Sicherheit nicht, und Gewalt ist auch etwas, was mir grundsätzlich sehr fern liegt. Doch in der Sache mit der Kriegerin gibt es eine Ebene, bei der es ums Über-Leben geht. Weiter gefasst geht es darum, mich für das Leben zu entscheiden, bewusst, immer und immer wieder, auch und gerade angesichts der Geschichten, auf die ich in den vergangenen zwei, drei Jahren gestoßen bin. Trotz alledem mich immer wieder für das Leben zu entscheiden. Als ich bei dieser Erkenntnis angelangt bin, kehrt innerlicher Frieden ein: "Ja, es ist so, und ich stimme dem zu." Fast wie in einer Rückkopplung fällt es mir dann zeitweilig auch leichter, die Geschichten selbst zu akzeptieren. Irgendwie muss es so sein. Ich lebe. Ich kann all dem entgegensetzen, dass ich überlebt habe, dass ich trotzdem lebe.

Und zumindest phasenweise ist da auch tiefe, gerührte Dankbarkeit, jene, von der mein früherer Lehrer einmal gesagt hat: "Das ist die Dankbarkeit, die von Gott kommt." Ich diene dem Leben. Das ist der Kern, und ich bin so dankbar, dort endlich angekommen zu sein.

Die Entscheidung für das Leben und für das Kriegerin-Sein: beides ist relevant, beides gehört zusammen. Beides bedeutet auch, die Geschichten zu akzeptieren. Egal, ob diese Geschichten biographisch gesehen "meine" sind oder nicht, in der schamanischen Arbeit habe ich sie erlebt, bin ich durch die dazugehörigen Emotionen hindurchgegangen. Dadurch sind es meine Erfahrungen - und die Geschichten damit dann eben doch meine.

Im Kern geht es jedes Mal darum, das Richtige zu tun, ohne Rücksicht auf den Preis, der dafür zu zahlen ist. Das gilt sowohl im Umgang mit diesen Geschichten als auch, in einem weiteren Sinne, für das schamanische Arbeiten und die Arbeit als Begleiterin, und auch für das Wie dieses Arbeitens. Manchmal werde ich da wohl tatsächlich auch als Kriegerin wahrgenommen.

Dann ist da in einer Zeremonie eine Situation, in der es darum geht, Teile von mir, von meiner Seele zurückzuholen. Es fühlt sich an, als würde ich versuchen, mich selbst in meinen Körper hineinzupressen, und es braucht immense Mengen von Energie, mehr als ich selbst in diesem Moment zur Verfügung habe. Sehr spontan sage ich zu Odin, der in den vergangenen Jahren in diesen Zeremonien immer wieder aufgetaucht ist und mich auch mehrfach unterstützt hat: "Wenn du willst, dass ich für dich kämpfe, dann brauche ich deine Hilfe dafür, diese Teile zurückzubekommen." Irgendwie hilft das, und in diesem Moment wird mir klar, dass ich gerade eine Entscheidung getroffen habe: ja, ich bin eine Kriegerin. Ich tue das, was notwendig ist, das Richtige, ich kämpfe für das Leben, egal, was es mich kostet.

Wenig später in derselben Zeremonie kommt etwas, was ich kaum anders denn als Vision bezeichnen kann, gerade weil es so völlig unerwartet war und auch nur indirekt etwas mit der Frage zu tun hatte, die ich mir in diesem Moment stellte. Da ist ein kleiner Kreis von Menschen, sie stehen mit dem Gesicht nach außen. Der Rest des Bildes bleibt unklar, aber das damit verbundene Gefühl ist absolut eindeutig und ändert sich nicht, obwohl ich das Ganze mehrfach überprüfe. Es fühlt sich an, als wäre dieser Kreis so etwas wie das letzte Bollwerk, der letzte Außenposten der Zivilisation oder der Menschheit, während drumherum buchstäblich alles zusammenbricht. Diese Menschen stehen da, tun ihr Bestes, als Gemeinschaft ebenso wie als Individuen, sie kämpfen für das Leben, beschützen es, ohne Rücksicht auf die Kosten für sie selbst. Dabei ist ihnen zutiefst bewusst, dass es keinerlei Hoffnung gibt - und doch kämpfen sie, "they are going down fighting", weil es das Richtige zu tun ist und letztlich die einzige Möglichkeit. In der Zeremonie wünsche ich mir "De Guello", weil dieser Titel wieder genau dieses Gefühl und auch den Schmerz und die Sehnsucht darin ausdrückt, hier im Zusammenhang mit der Geschichte um den Alamo. Irgendwann schaue ich hoch und sehe zu meiner Überraschung im Dachfenster, dass es draußen noch hell ist, und es ist gleichzeitig so unendlich traurig und irgendwie auch tröstlich. Ein weiterer Musiktitel, der mir einfällt, noch einmal Clapton, "Knockin' on Heaven's Door": "It's getting dark, too dark to see". So sehr weine ich, Wellen um Wellen um Wellen, ich trauere um all das, was wir unvermeidlich verlieren werden, und gleichzeitig weiß ich, dass ich eben nicht weinen werde, wenn es denn soweit sein wird, sondern das tun, was notwendig ist. Und auch das ist Teil der Entscheidung für das Leben.

Eine weitere Zeremonie, einige Wochen später. Die Musik führt mich in eine Szene zurück, auf die ich ein halbes Jahr zuvor gestoßen war und damals nicht verstanden hatte. Während der Belagerung von Akkon 1291, beim Fall des letzten christlichen Außenpostens im Heiligen Land, stand ich, als einer der Verteidiger, auf der Festungsmauer, stürzte mich, die Arme weit zur Seite ausgebreitet, von dort in den Tod, mich für die Christenheit opfernd, weil die Lage vollkommen hoffnungs- und ausweglos war. Eine kleine Gruppe hat auf verlorenem Posten für die Zivilisation (oder genauer, für das, was diese Gruppe dafür hielt) gekämpft, weil aus ihrer Sicht das zu tun das Richtige war, unabhängig von dem Preis, der persönlich dafür zu zahlen war. Und paradoxerweise ging auch damit eine Entscheidung für das Leben einher.

Irgendwie ist es, als hätte ich mich vor langer, langer Zeit für dieses Dasein als Kriegerin entschieden, und als hätte ich seitdem immer und immer wieder, in vollem Bewusstsein der kompletten Hoffnungslosigkeit und des zu zahlenden Preises, für die Zivilisation und für das Leben gekämpft. Immer wieder hatte ich diese Aufgabe, immer wieder habe ich mich dafür entschieden. (Oh ja. In diesem Leben bin ich keine Christin und sehe sehr wohl die Problematik, die in den Kreuzzügen steckt. Auch das eine Lehre: Zivilisation ist etwas sehr Relatives.)

Da ist noch ein Aspekt, der sich früher schon angedeutet hatte und in dem Bild mit dem Kreis von Menschen seinen klaren Ausdruck findet. Ich kann das nicht alleine, es geht nicht alleine. Ich brauche - und da schließt sich der Zirkel zu meinem vorigen Text "Licht" - einen Kreis, einen Stamm von Menschen, Menschen, die Zeugen sind und mir helfen, die erwähnten Geschichten zu halten. Teilweise geht das so weit, dass diese Geschichten sozusagen zu den anderen in diesem Kreis hinüberschwappen, und ich bin unendlich dankbar für ihre Unterstützung dabei. Als Kriegerin brauche ich einen Stamm. A
uch wenn vielleicht alles verloren ist, muss ich doch wissen, dass ich nicht alleine da stehe, wenn ich für das Leben kämpfe. Und ich brauche ein Zuhause, zu dem ich zurückkehren und von dem aus ich wieder aufbrechen kann, auch fürs schamanische und verwandte Arbeiten. So ging es mir, als ich von dem Wochenende mit dem "you are a warrior" wieder nach Hause kam und mich in der Tat fühlte wie eine müde Kriegerin. Noch ein letzter Musiktitel, dieses Mal aus "Supernatural", einer Serie, bei der es letztlich auch wieder um genau einen solchen Kreis und den Kampf für das Leben geht: "Carry on Wayward Son" mit der Zeile "Lay your weary head to rest". Genau. Und für all diese Sorten Zuhause bin ich zutiefst dankbar.

Wolf und Rabe

© Sabine Schleichert, Frühjahr 2023